LOS ANGELES – Die knifflige Frage für Autohersteller, die ihre neue Elektrofahrzeugflotte entwickeln, ist, inwieweit sich ihre EV-Version wie das Gegenstück mit Verbrennungsmotor anfühlen soll. Das gilt insbesondere für Mercedes-Benz, das seine BEV- und ICE-Fahrzeuge parallel entwickelt, wobei die Markteinführungstermine oft nur ein Jahr auseinanderliegen. Soll sich das Elektroauto gleich anfühlen, nur anders, oder wie ein surrendes futuristisches Raumschiff?
Im Falle des kommenden Mercedes-Benz EQE – dem elektrischen Äquivalent einer E-Klasse-Limousine, das seine Architektur jedoch mit dem EQS und nicht mit der E-Klasse teilt – fährt und fühlt sich das Elektroauto im Wesentlichen wie eine leise E-Klasse an. Und laut den Mercedes-Produktentwicklungsingenieuren war das auch so beabsichtigt.
Bei einer 45-minütigen Fahrt in einer heckgetriebenen Vorserien-Limousine des EQE 350 auf dem Pacific Coast Highway von Santa Monica in Richtung Malibu fühlte sich der leise, souveräne Antrieb des 250 Kilowatt (etwa 350 PS) starken Elektromotors so sicher an, wie man es von einer sportlichen Interpretation einer Business-Limousine erwarten würde. Mit einem Drehmoment von ca. 417 Pfundfuß schafft der EQE 350 RWD einen Sprint von 0 auf 100 in 5,7 Sekunden. Das ist zwar eine ganze Sekunde langsamer als ein E 450 4Matic, sollte aber für die meisten Käufer einer amerikanischen Luxuslimousine der Mittelklasse immer noch ausreichend schnell sein. Außerdem ist er 0,2 Sekunden schneller als der Basis-EQS 450+.
Die Standardbetriebseinstellung für den Antriebsstrang ist eine glückselige Ruhe. Es gibt kein begleitendes “Surren”, wie man es von Elektrofahrzeugen gewohnt ist. Das lauteste Geräusch, das bei Tempo 45 zu hören ist, ist ein Hauch von Reifengeräusch.
“Wir wollten kein wimmerndes Geräusch, gar nichts”, sagt Markus Schäfer, Technikvorstand von Mercedes-Benz. “Viele Elektrofahrzeuge klingen wie eine Straßenbahn. Wir wollen, dass es bei uns absolut still ist.”
Kurz gesagt, der EQE fühlt sich solide an, eine Rückkehr zum Bankgewölbe-Kokon der großen Benzes der Vergangenheit. Das Vorserienmodell ließ während der gesamten Fahrt nur ein einziges Mal das Fahrwerk aufstöhnen – beim Durchfahren einer welligen Kurve -, fühlte sich aber ansonsten wie ein Barren an. Elon, nimm zur Kenntnis: So sollte sich ein Luxus-Elektroauto anfühlen.
Natürlich gibt es Leute, die zu ihrem Drang auch ein wenig Sturm brauchen. Für sie bietet der EQE drei Geräusch-Imitate, die die Fahrt begleiten – vom vertrauten Surren bis hin zu einer Art elektronischem Godzilla bei vollem Gebrüll.
Beeindruckend für reichweitenbewusste Käufer ist die Strecke, die der EQE zwischen zwei Ladevorgängen zurücklegen kann. Obwohl die EPA ihn noch nicht getestet hat, hat der EQE 350 eine WLTP-Reichweite von 409 Meilen (660 km). Beachten Sie, dass die WLTP-Zahlen sind in der Regel optimistischer als die EPA- oder realen Ergebnisse. Dennoch liegt er auf einer Linie mit dem Tesla Model S, den der EQE preislich unterbieten dürfte. (Der EQE kommt in Europa im April und in den USA Ende 2022 auf den Markt. Die Preise wurden noch nicht bekannt gegeben.)
Aber was die meisten Leute wirklich beeindrucken wird, ist das verfügbare Hyperscreen-Infotainment-System. Ursprünglich im EQS-Flaggschiff untergebracht, schien dieses von der Säule bis zur Säule reichende digitale 3D-Glas eine Vision nur für die 1 Prozent zu sein. Aber auch in der Mercedes-Mittelklasse kommt man in den Genuss dieses Systems. Der Beifahrer kann sich sogar während der Fahrt ein Video ansehen; der Fahrermonitor erkennt, ob der Fahrer einen Blick erhascht und schaltet das Video ab, bis er sich wieder auf die Straße konzentriert. Die Bildschirme selbst sind fast schmerzhaft scharf in ihren Details.
Das aktualisierte Infotainment-System beinhaltet auch eine Routenplanung für Ladestationen; die Augmented-Reality-Karte zeigt die Ladestationen, ihre aktuelle Verfügbarkeit und Ladeleistung an und gibt an, ob der Strom für das Ladegerät aus einer “grünen” Quelle stammt. Die Kartenfunktion ist immer als primärer Hauptbildschirm aktiviert; andere Infotainment-Optionen erscheinen dann als überlagerte Kacheln. Das hat etwas von “Minority Report”.
Da unsere Fahrt in der späten Rushhour stattfand, gab es außer einem gelegentlichen Tritt auf das Gaspedal kaum Gelegenheit für dynamisches Fahren. Außerdem war unser Modell mit einer optionalen Luftfederung und einer Hinterachslenkung ausgestattet, so dass der EQE im Komfortmodus ein liebevoll schwebendes Fahrgefühl vermittelte, sich im Sportmodus jedoch straff und wendig anfühlte. (Die Basismodelle sind mit einer Stahlfederung ausgestattet.) Dies entspricht auch unseren Erfahrungen mit der EQS-Limousine.
Dank der Hinterachslenkung hat der EQE einen Wendekreis, der mit dem der kompakten C-Klasse vergleichbar ist. Unser Fahrer – Holger Enzmann, Mercedes’ Projektleiter für die EVA-Plattform – schaffte eine Wende auf einer zweispurigen Wohnstraße mit Leichtigkeit.
Wenn es sich um eine Business-Limousine handelt, wie sieht es dann mit dem Platzangebot im Innenraum aus? Mercedes behauptet, dass die Beinfreiheit im Fond fast 3 Zoll größer ist als in der aktuellen E-Klasse. In Längsrichtung mag das stimmen, aber das Batteriepaket dringt in den Fußraum ein – die Hüften der Fondinsassen sind im EQE stärker nach oben geneigt als in der E-Klasse, und ein Ausschnitt im Fußraum des Vordersitzes bietet kaum Platz für Herrenschuhe (Lady Gaga wird ihre Plateau-Stilettos ablegen müssen). Die Kopffreiheit in der zweiten Reihe ist für eine Person mit 1,80 m Körpergröße anständig, dank des Dachglasausschnitts, der Platz in der coupéartigen Dachlinie schafft, die an die erste Generation des CLS erinnert.
Aber im Gegensatz zum CLS, für den die Mercedes-Designer eine lange Motorhaube entworfen haben, um seine Luxus-Performance zu unterstreichen, ist die Kabine des EQE über den Vorder- und Hinterrädern ausgeglichener. Da der Motor entfällt, ist das Verhältnis zwischen Armaturenbrett und Achse kürzer. Wird dadurch der optische Eindruck von Premium beeinträchtigt? Nicht wirklich. DieDer EQE ist ein echter Mercedes.
Sollten Sie also einen EQE anstelle einer E-Klasse kaufen? Das Innere des EQE fühlt sich progressiv und ultramodern an, ebenso wie sein leiser Antrieb. Auch wenn er die Mercedes-DNA der E-Klasse in sich trägt, fühlt sich der EQE wie die Zukunft an.
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